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Ein Roman über die Emanzipation einer jungen Frau:

Irma Kilimnik im Interview zu ihrem Buch „Sommer in Odessa“ 

 

Irma Kilimnik erzählt in ihrem Erstlingswerk die Geschichte von Olga, die versucht, aus den patriarchalisch geprägten Strukturen ihrer Familie auszubrechen und ihren eigenen Weg im Leben zu finden. 

Schauplatz des Romans ist die ukrainische Stadt Odessa im Jahr 2014, welche die Autorin in all ihren Facetten darzustellen weiß.  Selbst in Odessa geboren und bis zu ihrem 15. Lebensjahr dort aufgewachsen, beschreibt Kilimnik unbeschwerte Sommertage in der Küstenstadt ebenso wie gesellschaftliche Problematiken, die den Alltag der Protagonistin zeichnen. 

Im Interview spricht Kilimnik über ihr Heimatland, Familienbande und Erwartungsdruck. 

 

In Ihrem Debütroman Sommer in Odessa kehren Sie in die Stadt Ihrer Kindheit und Jugend zurück, die Sie mit 15 Jahren in Richtung Deutschland verlassen haben. Gleich vorweg, weil es das wohl drängendste Thema ist: Stehen Sie noch mit vielen Menschen in Odessa und in der Ukraine in Verbindung? Wie geht es Ihnen selbst angesichts der dramatischen Entwicklungen in der Ukraine und auch in Odessa? 

Ich habe Kontakt in die Ukraine und tausche mich mit den Freunden und Freundinnen dort aus. In den vergangenen zehn Monaten hat sich die Stimmung mehrfach gedreht. Belastend ist die Ungewissheit, wie es weitergeht und ob dieser Krieg jemals endet. Einige meiner Bekannten haben die Heimat Richtung Westen verlassen. Ich selbst bin in erster Linie sehr traurig. Ich fürchte, mein Odessa wird es so wie früher nicht mehr geben. Wenn ich an Odessa zurückdenke, steigen in mir sofort die Bilder aus meiner Kindheit hoch: morgens schnell zum Strand fahren und abends ausgehen. Jetzt schlagen dort Bomben ein, und die Strände sind vermint.  

 

Hatten Sie Ihr Buch bereits fertiggestellt, als es zum russischen Überfall auf die Ukraine kam?  

Ich hatte den größeren Teil des Romans schon fertig.  

 

In Ihrem Roman begleiten wir die allmähliche Emanzipation einer jungen Frau, die zwischen aufgezwungenem Medizinstudium, enttäuschenden Liebeserfahrungen und der Enge ihres Familienverbands aufgerieben wird. Sie selbst haben Medizin studiert, allerdings nicht in Odessa, sondern in Berlin.

Es stellt sich unweigerlich die Frage: Wie viel von Ihnen steckt in Ihrer Protagonistin und Ihrer Geschichte?  

Es ist tatsächlich so, dass ich Medizin studiert habe und dass das Studium mich nicht glücklich gemacht hat. Ich habe lange gebraucht, um einen Schlussstrich ziehen zu können, eigentlich erst, als ich mit dem Studium fast fertig war. Diese Erfahrung fließt in meinen Coming-of-Age-Roman sicherlich mit ein. Authentisch ist auch, dass es ein Kraftakt ist, sich aus familiären Verstrickungen und Aufträgen zu lösen. Die meisten Romanfiguren vereinen aber alle möglichen Erfahrungen in sich, eigene, die von Freunden und Freundinnen, oder sie sind schlicht Fantasie.  

 

Das Familienleben der Protagonistin ist durch viel Tradition und patriarchale Strukturen bestimmt. Der Großvater thront als Oberhaupt über der Großfamilie, die gemeinsam in einer Wohnung lebt und nur aus Frauen besteht. Vor allem die Töchter drohen an den Launen des herrischen Vaters zu zerbrechen, aber nicht nur daran. 

Welchen Hemmnissen begegnen die Frauen in Ihrem Buch?  

Eine Großfamilie ist ein Segen und ein Fluch zugleich. Einerseits ist da die familiäre Unterstützung, die besonders in schweren Zeiten wichtig ist. Andererseits beugt sich jeder Einzelne der bestehenden Hierarchie und muss im Sinne der Familie handeln. So ist es auch bei Olga, die aus Gehorsam ihrem Opa und ihrer Familie gegenüber Medizin studiert, obwohl es sie nicht erfüllt. Aber die Angst, Familienerwartungen zu enttäuschen, nagt an ihr, und sie gestattet es sich nicht, nach ihren eigenen Wünschen zu handeln. Eine andere Facette im Roman ist sicherlich die Liebe. Zum einen die elterliche Liebe und zum anderen die persönliche Liebe oder die Verliebtheit. Der Vater hat die Liebe zu seinen drei Töchtern immer an Bedingungen geknüpft, was bei diesem deutlichen seelischen Spuren hinterließ.  

 

Nicht zuletzt schürt er auch die Konkurrenz unter den Töchtern. In ihren persönlichen Liebesbeziehungen scheitern die Frauen gänzlich. Bleibt nur die Hoffnung, dass die Enkelinnen es besser machen. 

Stehen bestimmte Konflikte, die Sie beschreiben, auch mit kulturellen Besonderheiten in Zusammenhang?  

Etwas vielleicht spezifisch Osteuropäisches ist der große Stellenwert, den die Familie einnimmt und der sich alle, auch die Töchter, verbunden fühlen. Sie können den Vater nicht einfach so verlassen, sie würden sich schuldig fühlen, und diese innere Verpflichtung bindet sie an ihn und hält sie in der ganzen familiären Konstellation fest. Zur Sprache kommen in Ihrem Buch auch die politischen Widersprüche und Reibungen, mit denen die Bevölkerung der Ukraine seit Jahrzehnten kämpft.  

 

Ihr Roman spielt im Sommer 2014, kurz nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, einem der Vorboten der Aggressionen der russischen Regierung. 

Sie zeichnen eine zerrissene und gespaltene Gesellschaft. Wie sahen diese Risse aus?

Politik hielt Einzug in die Familien, das fing damals an. Ich kenne einige Paare, die sich scheiden ließen, weil sie prorussisch und er proukrainisch war oder umgekehrt. Es gab auf einmal viel Streit darüber, welche Seite an was Schuld hat und welcher Kultur die eigene Loyalität gehört. Die Leidtragenden dieser Familienkonflikte waren wie so oft die Kinder. Es war verstörend, mitzubekommen, wie sich einst liebende Menschen in Feinde verwandelten.  

 

Ihre Protagonistin steht den Konflikten, aber auch ihrem eigenen Leben immer wieder illusions- und hoffnungslos gegenüber. 

Ist das auch eine Erfahrung, die Ihre Generation gemacht hat?  

Das beschreibt ihre Einstellung zu Beginn des Romans. Sie ist noch jung, hat eben erst mit dem Studium begonnen, aber sie merkt allmählich, dass Resignation und ein Sich-Fügen keine Lösung für sie ist. Ich denke, überall auf der Welt und in allen Generationen gibt es junge Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich vom Elternhaus zu lösen. Die Umstände können kulturell aber sehr unterschiedlich sein. Es ist sicherlich etwas anderes, ob man sich von einer alleinerziehenden Mutter oder von einer Großfamilie abnabeln muss.  

 

Heute steht Odessa vor allem als Hafenstadt in den Schlagzeilen, von der aus die umkämpften Getreidetransporte auslaufen. Die Stadt ist auch immer wieder unter Beschuss und hat für Russland, seit jeher, eine wichtige strategische Bedeutung. Die Geschichte Odessas ist so reich wie konfliktbehaftet, über die Jahre waren über hundert Nationalitäten in der Stadt beheimatet. Sie war auch Nährboden für ein herausragendes Literaturerbe, die Dichterin Anna Achmatowa oder auch Isaak Babel stammen aus Odessa. 

Was ist und bedeutet die Stadt für Sie?  

Odessa wird für mich immer eine der schönsten Städte der Welt bleiben. Ähnlich wie St. Petersburg waren die Bewohner Odessas zuerst immer Odessiter:innen und dann erst alles andere. Das zeigt sich schon an der Sprache, einem Gemisch aus dem Russischen, Ukrainischen, Jiddischen und Wörtern, die es anderswo nicht gibt, an der Melodie in den Stimmen und an dem typischen Humor und Mutterwitz. Mein Opa sprach dieses Odessitisch noch, heute kämpft es einen vergeblichen Überlebenskampf. Jetzt geht es erst einmal darum, dass mein Odessa stehen bleibt und die Menschen verschont werden. Wie ich Odessa kenne, wird die Stadt auch diese Bedrohung überstehen.  

 

Wenn Ihre Erfahrungen mit der der Protagonistin übereinstimmen, dann ist Ihre Muttersprache Russisch. 

Wie geht es Ihnen beim Schreiben in deutscher Sprache? Gibt es Facetten, die Sie im Deutschen vermissen? Fühlen Sie sich im Deutschen gut aufgehoben?  

Ich habe versucht, auf Russisch zu schreiben, konnte es aber nicht. In deutscher Sprache zu schreiben, funktioniert für mich gut. Wenn ich schreibe, denke ich gleich auf Deutsch und übersetze nicht. Ich vermisse keine Facetten, weil ich die beiden Sprachen nie vergleiche.  

 

Gibt es bereits ein neues Schreib-Vorhaben?  

Ja, es gibt bereits eine Idee... Herzlichen Dank für das Gespräch!  

 

Interview ©Kein & Aber 

 

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